Vor einiger Zeit (eigentlich vor ziemlich genau einem Monat, wie die Zeit vergeht…) fragte mich jemand, warum ich hier so lange nichts mehr geschrieben habe. Ich sagte, allein mit den Gründen könne ich einen Blogartikel füllen. Irgendwie kam mir dann in den Sinn, dass ich wirklich genau das mal tun könnte: Einen Blogartikel dazu schreiben, warum ich nicht blogge, denn im Konfabulieren bin ich Meister. Dieser Gedanke spukt jetzt also seit circa einem Monat in meinem Kopf herum und taucht ab und zu wieder aus den Versenkungen meiner Gedankenwelt auf, eine neue brilliante Formulierung im Schlepptau tragend, die ich unbedingt in diesem Artikel unterbringen müsste, fünf Minuten später allerdings schon wieder für immer vergessen habe.
Das bringt mich schon zum ersten Punkt (und damit auch zu allen anderen, die ich in einer Liste zusammenfasse, denn Listen sind cool; das zerstört zwar irgendwie den Textfluss, aber manchmal muss man Prioritäten setzen):
- Ich blogge nicht, weil mir alle Ideen, die mir, während ich unter der Dusche stehe oder nachts wach im Bett liege, total kreativ und super interessant vorkommen, schon längst wieder entfallen sind, wenn ich am Computer sitze, oder, noch schlimmer, dann weder kreativ noch interessant erscheinen.
- Auch wenn ich es genieße, und zwar sehr, stringent geschriebene Blogposts zu lesen, in denen stets ein roter Faden erkennbar ist, ein Ziel, die wunderschön aufgebaut sind, informativ und dabei noch eloquent, fühle ich mich kaum in der Lage, solche selbst zu verfassen. Ich habe, wenn ich einen Text schreibe, am Anfang meist nur eine grobe Ahnung, was ich überhaupt sagen will, und schreibe dann einfach, was mir in den Sinn kommt. Dabei komme ich meist von Hölzchen auf Stöckchen, weil mir zu allen möglichen Kleinigkeiten noch Ergänzungen einfallen, du unbedingt noch im mittlerweile schon dritten Nebensatz dabeigequetscht werden müssten. Mein Gehirn ähnelt einfach eher MediaWiki, mit einem wildgewordenen Benutzer, der in jedem Artikel den erstbesten Link klickt (ohne dabei zu bemerken, dass er irgendwann in einer Schleife landet), als WordPress.
- Ich hasse es, beurteilt zu werden. Ihr lest meinen Text und urteilt dabei über mich. Jedes Wort, dass ich nutze, jede Formulierung, jedes falsch gesetzte Komma und jeder Rechtschreib- oder Grammatikfehler, der euch auffällt, jeder logische oder weniger logische Argumentationsschritt, jedes Gefühl, das ich beschreibe, beeinflusst euer Urteil. Und am Ende muss ich mich eurem Urteil stellen, und, noch viel schlimmer, meinem eigenen. Denn ihr habt einen von mir begangenen Fehler vielleicht in fünf Minuten vergessen, ich aber vergesse meine Fehler nicht so schnell.
- Faulheit
- Kommen wir zum letzten Punkt (vielleicht sind es auch zwei Punkte, so genau weiß ich das noch nicht): Ich blogge nicht, weil ich mir nicht kompetent genug vorkomme, weil ich keine Antworten zu bieten habe, keine Meinungen, nur Fragen. Es gibt nichts, was ich schreiben könnte, das nicht irgendjemand schon wesentlich schöner ausgedrückt hat, nichts, wovon nicht andere mehr Ahnung haben. Noch viel mehr: Umso mehr Wissen ich erlange, umso mehr habe ich das Gefühl, ahnungslos zu sein. Die Menschen leben ihr Leben lang in der Illusion, zu verstehen. Aber wir verstehen eigentlich gar nichts. Zumindest verstehe ich gar nichts. Ich verstehe nicht einmal meine eigenen Handlungen. Warum bin ich heute aufgestanden? Warum sitze ich gerade hier und schreibe das? Ich weiß es nicht. Ehrlich gesagt habe ich nicht einmal den Hauch einer Ahnung. Der Mensch ist das Komplexeste im uns bekannten Universum und wir denken wir würden irgendetwas über ihn verstehen. Wir machen Prognosen über die Zukunft und erklären nachträglich das Geschehene. Wir interagieren tagein tagaus mit hochkomplexen dynamischen Systemen, in der Illusion, zu wissen, wie sie sich in Zukunft verhalten werden.
Was will ich mit diesem wirren Kauderwelsch sagen? Ich weiß nicht, wie man die Gesellschaft dazu bringt, sich in bestimmte Richtungen zu entwickeln. Ich weiß nicht, wie es kommt, dass die Gesellschaft sich in bestimmte Richtungen entwickelt. Wenn ich blogge, dann um eine bestimmte Entwicklung in der Gesellschaft zu unterstützen. Kann ich das mit Bloggen? Ich weiß es nicht. Was muss ich bloggen, um das zu erreichen? Ich weiß es nicht. Was für gesellschaftliche Entwicklungen will ich überhaupt erreichen? Ich weiß es nicht. Was will ich? Ich weiß es nicht.
Die Edge-Frage 2005 lautete: „What do you believe is true even though you cannot prove it?“ („Was hältst du für wahr, obwohl du es nicht beweisen kannst?“) Das ganze wurde als Buch verlegt, dass ich schon vor einiger Zeit gelesen habe. Die Antworten umfassen natürlich viele unterschiedliche Themenbereiche, ich möchte eigentlich nur auf die Antworten von Seth Lloyd und Janna Levin näher eingehen.
Ich glaube – an die Wissenschaft. Im Unterschied zu mathematischen Theoremen lassen sich wissenschaftliche Ergebnisse nicht beweisen, sondern lediglich immer wieder überprüfen, bis nur noch ein Narr sich weigern würde, daran zu glauben.
Ich kann die Existenz von Elektronen nicht beweisen, glaube aber fest daran. Und für all jene, die nicht daran glauben wollen, halte ich einen Starkstrom-Elektroschocker bereit, den ich sie gerne als Argument spüren lassen würde. Elektronen sprechen nämlich für sich.
Ich glaube an eine äußere Realität und daran, dass andere nicht nur Produkte meiner Phantasie sind. Mein Freund fragt mich durch den von seinem Kaffee aufsteigenden Dampf, wie ich den Gesetzen der Physik bis zu den Anfängen des Universums trauen könne. Ich frage zurück, wie er den Gesetzen der Physik bis hinab zu seiner Tasse Kaffee trauen könne. Er ist offenbar fest davon überzeugt, dass die heiße Flüssigkeit nicht plötzlich der Gravitation spotten und ihm in die Augen sprudeln wird. Er lebt mit diesem Vertrauen, das auf seiner Erfahrung mit der Welt beruht. Schon als Kind hat er mit Schwerkraft, Hitze und Licht experimentiert, als er die Welt abtastete, um ihre Stoffe zu erkunden. Heute besitzt er eine verfeinerte und hoch entwickelte, ob in Gleichungen oder anderweitig formulierte Theorie der Physik.
Ich glaube zugleich mehr und weniger als er. Zwar ist es vernünftig zu glauben, was all meine empirischen und logischen Prüfungen der Welt bestätigen – nämlich dass es eine unabhängig von mir existierende Realität gibt und dass der Kaffee nicht aus der Tasse springt. Doch es ist eben bloß ein Glaube. Wenn ich schon so weit gegangen bin, warum dann am äußersten Rand der Welterfahrung stehen bleiben? Ähnlich wie wir die Temperatur einer heißen Getränks mit der Zunge oder mit einem Thermometer ermitteln, so lässt sich auch die Temperatur der vom Urknall zurückgebliebenen Strahlung messen. Das eine ist nicht realer als das andere, nur weil es so bemerkenswert erscheint. Woher kann ich wissen, dass Mathematik und die Gesetze der Physik schon bei der Erschaffung der Zeit, des Raumes und des gesamten Universums galten? Aus der gleichen Quelle, die meinen Freund an die Realität des zweiten doppelten Cappuccino glauben lässt, den er sich bestellt. Bei der Formulierung von Überzeugungen ehrlich, kritisch und fähig zu sein, Irrtümer einzugestehen – darauf beruht letztlich Wahrheit.[…]
Beide widmen sich in ihrem Beitrag dem Hume-Problem und argumentieren auf eine sehr einfach Art und Weise. Sie glauben an die physikalische Realität, weil es alternativlos ist. Jeder Mensch ist Physiker, nur sind sich die meisten dieser Tatsache nicht bewusst. Wir alle wissen instinktiv, dass Dinge fallen, glühendes Metall heiß ist, Wasser fließt. Wir alle glauben den ganzen Tag an jedes Naturgesetz. Wir glauben, dass Dinge nicht plötzlich verschwinden, wenn man sie aus den Augen lässt, Zucker süß ist, auch im nächsten Kaffee. Wir vertrauen blind darauf, dass der Riesenmagnetowiderstand nicht plötzlich seinen Geist aufgibt und alle Daten auf unserer Festplatte für immer verloren sind. Wir vertrauen darauf, dass unser Navigationsgerät uns genau ortet, sich Papier in unseren Händen nicht plötzlich entzündet, wir nicht plötzlich explodieren.
Eigentlich ist unser aller Vertrauen in die Naturgesetze so gigantisch, dass die naheliegendste Erklärung ist, dass ich mit meinem Monismus nicht ganz so allein da stehe, wie ich immer dachte.
Aber nein, die Wahrheit ist viel absurder. In Wahrheit gibt es Menschen, die im Internet behaupten, Evolution sei ein Märchen, die Relativitätstheorie erfunden, die Erde sei 6000 Jahre alt, die Existenz eines Gottes sei nicht zu leugnen. Sie erklären einem, sie können mit Engeln reden, die Zukunft voraussagen, die Sterne deuten. Sie glauben an die unterschiedlichsten Dinge, aber eines ist ihnen gemeinsam: Das, woran sie glauben, ist Magie. Das, woran sie glauben, steht im Widerspruch zu den Naturgesetzen.
Ich frage mich, wie man gleichzeitig auf die Naturgesetze vertrauen und an etwas, das im Widerspruch zu ihnen steht, glauben kann.